Als es in der DDR noch etwas zu erzählen gab: „Trümmer“ im Ballhaus Ost

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Als es in der DDR noch etwas zu erzählen gab: „Trümmer“ im Ballhaus Ost

Als es in der DDR noch etwas zu erzählen gab: „Trümmer“ im Ballhaus Ost

Pier Paolo hatte einen schlimmen Traum: Er saß im Konzerthaus oder steckte mitten in den Dreharbeiten, so genau weiß er es nicht mehr, Musik erklang, doch alles klapperte furchtbar dabei. Es klapperte zwischen den Tönen, zwischen den Worten und zwischen den Menschen. Nichts passierte ohne dieses wahnsinnige Klappern. Verzweifelt erwachte Pier Paolo, und sofort rief er seine Muse Maria an. Nun stehen beide überdreht im kleinen Ballhaus Ost vor einem futuristisch anmutenden Arbeiterprospekt des sozialistischen Realismus und diskutieren, was zu tun sei.

Eigentlich keine Frage für Pier Paolo, mit dem natürlich niemand sonst gemeint ist als der sozialrevolutionäre Filmemacher Pier Paolo Pasolini. Und auch nicht für Maria, die seine künstlerische Intima und Operndiva Maria Callas darstellt. Nicht in dieser politisch hochbrisanten Zeit zumindest, in der Extremrechte oder Extremlinke an die Macht kommen könnten, so Pier Paolo. Da muss er einfach weiter Filme machen, die die rohe Realität der Benachteiligten abbilden, koste es, was es wolle. Und am liebsten nicht mehr in Rom, sondern in der besseren Welt: der DDR!

Klapperbegriff poetischer Realismus

Also möchte Pier Paolo jetzt eine Dokumentation über die letzte Berliner „Trümmerfrau“ Martha drehen. Zwar entstand dieser Film tatsächlich bereits 1978, gedreht von Jürgen Böttcher auf der Rummelsburger Schutthalde für die Defa (frei zugänglich im Netz), also drei Jahre nach Pasolinis Tod. Aber das macht weder Pier Paolo was aus noch seinem Erfinder Jan Koslowski, dessen vielsprachig durch alle Genres, Realitäten und Zeiten irrende Farce „Trümmer“ am Wochenende im Ballhaus Ost Sommerpremiere feierte.

Pier Paolo und Maria wollen vom Wert der Arbeit und des Materials und der Menschen dahinter erzählen und übernehmen sich. Denn der schnöselig gegelte Pier Paolo will nichts als die rohe Realität in seine Bilder locken, während die aufgetakelte Maria nur in Metaphern denkt, weshalb bald der wackelige Begriff „poetischer Realismus“ durch ihre überhitzten Reden geistert. Wäre da nicht immer noch dieses furchtbare Klappern, das sich mit jedem Satz nur verstärkt.

Und so klappert und brabbelt es munter weiter in der immer hart an der Grenze zwischen Frohsinn und Albernheit lavierenden Zeitgeschichts- und Erzählparodie, für die Koslowski und seine Co-Autorin Marlene Kolatschny keine Mühen gescheut und ein riesiges Ensemble aus 13 Spielern und Musikern versammelt haben. Da nie klar wird, wo das ganze Live-Film-Bühnen-Tohuwabou nun eigentlich stattfindet, ob als verlängerter Albtraum in Pasolinis Kopf oder auf einem realen Filmset, in das noch andere „Trümmerfilm“-Sets der Defa-Historie verschachtelt sind, spielt das sich drehende Bühnenzelt, das als Planungszentrum, Schlafzimmer und Küche zugleich dient, auch nur eine provisorische Rolle.

Es wird viel geschlafen und geraucht, nur weicht die Wortkargheit der zugrunde liegenden Abriss-Dokus (neben „Martha“ kommt auch der Film „Erinnerung an eine Landschaft“ zu Ehren) hier den entschieden zu breit geklopften, metaästhetischen Besserwissereien. Von der schillernden Kraft des Kaputten sollte erzählt werden, im Lamento über das angebliche Nichtmehrerzählenkönnen bleiben sie stecken. Immerhin mit Spaß.

Trümmer. Bis 11. Juli, jeweils 20 Uhr, im Ballhaus Ost, Karten im Ticketshop der Berliner Zeitung

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